Warum es bei Tai Chi wichtiger ist, einige →Bilder (Figuren, Abläufe, „Abschnitte“, etc.) „perfekt“ zu beherrschen, anstelle möglichst viele Bilder zu kennen.
Der westliche Mensch ist vom Umfeld und Medien meist so „gepolt“: Immer mehr, immer schneller, immer weiter.
Das „Können“ zeigt sich in dieser Meinung darin, möglichst viel von etwas zu kennen, anstelle tatsächlich – vielleicht auch nur weniges – wirklich „perfekt“ zu beherrschen!
Es gilt zu bedenken:
Bill Gates, Gründer von Microsoft, meinte einmal: „Es ist nicht notwendig, dass ein Produkt perfekt ist, bevor es auf den Markt geworfen wird, es ist nur wichtig, dass es gut genug ist, um es zu verkaufen“.
Genau jene Einstellung und Ansicht, prägt viele Menschen unserer heutigen Konsumgesellschaft. Hauptsache man „hat“ etwas, egal ob dies auch wirklich sinnvoll, nutzbringend oder tatsächlich nachhaltig ist.
Man kann ja jederzeit einfach „nachkaufen“ oder „wiederkaufen“.Es hat den Anschein, als wären die wenigsten Menschen in unserer Gesellschaft überhaupt noch an Perfektion und Qualität interessiert – Hauptsache etwas ist „gut genug“.
Mit dieser Einstellung versinkt unsere Gesellschaft jedoch in der Mittelmäßigkeit und Beliebigkeit.
Geschweige denn wirkt sich dies auf jeden unserer Lebensbereiche aus: Gesundheit, Ernährung, Freizeit, …, Arbeit und Entlohnung selbiger.Es gäbe hierfür unzählige Beispiele:
„Wer braucht schon Erdbeereis? – Eis mit Erdbeergeschmack ist schon gut genug!“
„Wer braucht schon frisches, reines Quellwasser – es ist doch chemisch und physikalisch nach gesundheitsverträglichen Kriterien gereinigtes Wasser gut genug!“
„Wer braucht schon für die eigenen Füße angefertigte (Leder-)Schuhe, welche 15-20 Jahre halten – wenn man Plastikturnschuhe mit Firmenlogo mit viel Glück ein Jahr lang tragen kann und dann ohnehin neue kauft?“
oder:
„Wen interessiert tatsächlich eine Fachkraft – wenn das Unternehmen ohnehin selbst nicht weiß, wie die Stellenbeschreibung genau lautet, wofür jemand tatsächlich eingesetzt wird und woher die benötigten Qualifikationen stammen sollen? Wenn eine Teilzeitkraft, welche alles nach Anlernen macht, hierfür eigentlich ausreicht, viel billiger ist und falls es nicht passt, ohnehin jederzeit gekündigt werden kann?“
usw.usf.
Tai Chi Gung Fu lehrt uns etwas anderes: Das, was wir „machen“ – sprich: üben/ausüben – so perfekt und so genau und so intensiv zu machen, wie es heute nur möglich ist.
Das Streben nach Perfektion.
Auch eine (innere) Einstellung – Dinge nicht einfach zu machen, sondern jene Dinge, welche man macht, so exakt, so präzise. so hingebungsvoll – so achtsam(!) – wie es uns heute(!) nur irgend möglich ist zu tun!
Das ist auch der Grund im Training des Vereins, dass wir sehr darauf bedacht sind, schrittweise vorzugehen.
Gerade bei Anfängern (Einsteigern) legen wir Wert darauf, zuerst nur(!) eine kleine Form mit wenigen, dafür umso effektiveren Bildern zu vermitteln, um diese möglichst exakt und präzise zu vermitteln und auch zu überprüfen, ob diese (wenigen) Bilder und die damit verbundenen Abläufe auch tatsächlich beherrscht werden.
Natürlich setzt dies auch voraus, dass zum einen die Grundlagen verstanden und ebenso beherrscht werden, zum anderen müssen dabei auch die „körperlichen Voraussetzungen“ („Standfestigkeit“, Muskeleinsatz, …, „Entspannung“, „Atemtechnik“, …, Koordination) zuerst gegeben sein. Siehe dazu auch: →Einsteigertraining
Chinesische Meister behaupteten: „Selbst mit der kleinsten Form ist die Meisterschaft in Tai Chi erreichbar!“
Damit ist gemeint: Auch mit nur wenigen Bildern in einer →Form ist es möglich, den „Geist von Tai Chi zu erfahren“ bzw. „die Geheimnisse von Tai Chi zu ergründen und zu meistern“ –
Und sie haben recht: Es kommt nicht auf die Menge der Abläufe (Bilder) an, sondern, dass man Erstens „eine Form“ und Zweitens jene(!) Form so präzise und perfekt ausführt, wie (heute!) nur möglich und dies Drittens: Regelmäßig wiederholt!
Es zählt eindeutig die Qualität anstelle der Quantität!
Im Training und bei der Ausübung von Tai Chi Gung geht es in erster Linie darum, jene Bilder, welche man erlernt, so exakt wie möglich auszuführen. Sobald erkennbar ist, dass ein Bild tatsächlich „beherrscht“ wird, kann man sich dem nächsten (neuen) zuwenden.
Chinesische Lehrer geben die Faustregel an, dass man zum Erlernen eines neuen Bildes (den Ablauf, bzw. „→Danlian„) ca. 2-3 Tage Trainingszeit(!) benötigt – Anfänger benötigen in der Regel ca. 14 Tage pro Bild!
Wichtig ist dabei aber zu bedenken, dass erst „eine Form“, das Ganze vervollständigt. D.h.: Der nächste Schritt ist es, die neu erlernten Bilder auch innerhalb einer Form und somit wiederum die „neue Form“ zu beherrschen – so perfekt und präzise, wie nur möglich!
Nach jener „Rechnung“ (Zeitschätzung/Planung) wäre für das Erlernen z.B. der 108er-Yang-Stil-Form mit ca. 41 unterscheidbaren Bildern für Anfänger eine Zeit von (schlechtenfalls) 41 x 14 Tage = 574 Tagen – das wären ca. 1½ Jahre(!) – einzuplanen bzw. mit „Geübten“, d.h. mit Fortgeschrittenen (bestenfalls !) 41 x 2 Tage = 82 Tage, also ca. 3 Monate (Trainingszeit!)
Hierzu eine Anekdote:
Ich traf auf dem Weg zum Vereinstraining einen Bekannten auf der Strasse.
„Ja, hei XX – Grias Di“
„Servus YY, lang nicht mehr gesehen. – Wie geht’s denn? Machst
Du noch immer Tai Chi?“
„Gut. Ja, logisch – bin gerade auf dem Weg zum Training“
„Ah so – weisst, ich mache jetzt auch Tai Chi bei ZZ. Der Kurs
geht ein Jahr. Die 108er Form!(*stolz*)“
„Ja super, freut mich! – Und, taugts dir?“
„Ja is klass, bin jetzt ja schon ein halbes Jahr dabei“
„Klasse, oder? – Wo seids denn gerade?“
„Wie meinst du das?“
„Na ja, wie weit seid ihr schon gekommen, was für ein
Bild macht ihr gerade?“
„Keine Ahnung, bin mittendrin“
„O.k. – was war denn das letzte Bild? – Der letzte Ablauf?“
„Du, keine Ahnung, es geht ja noch ein halbes Jahr. …und
danach kann man den Fortgeschrittenenkurs besuchen.“
„Verstehe, muss mich jetzt aber sputen – wir machen jetzt gerade die 37er Form nach Cheng Manching, der 1. Abschnitt wurde mit ‚Arme ausbreiten und kreuzen‘ gerade beendet, heute setzen wir den 2. Abschnitt mit ‚Den Tiger zum Berg tragen‘ und ‚Diagonaler Peitsche‘ fort, in ca. 2 Monaten sollten wir mit den Mitgliedern, die davor die 24er-Peking-Form gemacht und dazu die Leistungsprüfung abgelegt haben, durch sein. – Viel Erfolg noch, man sieht sich!“ (winke und gehe) …