Irrtum 14: Tai Chi ist für alte Leute

(aus der Serie: Irrtümer über Tai Chi, erstmals erschienen auf mein.salzburg.com am 21. Apr 2010 um 11:01 in Fitness )

Würde man dem Mainstream der TV-Generation folgen, dann könnte man durchaus zu dieser Überzeugung gelangen.

„Toben ist das Vorrecht der Jugend“ soll irgendjemand einmal gesagt haben, ich ergänze: „…aber keine Verpflichtung!“.

Wie bereits in vorangegangenen Artikeln festgestellt wurde, ist in Tai Chi Chuan (nach Pinyin-Umschreibung: Taijiquan – unabhängig von der Schreibweise in Lateinischen Buchstaben, alles wie „tai tschi tschuan“ oder „tai tschi tschüan“ ausgesprochen) keineswegs alles – zwangsweise – langsam und bedächtig. Meist bezieht sich dies eben auf die sogenannte Solo-Form, nicht jedoch auf den Kampfkunstaspekt, bzw. die Waffenformen.

Ungeachtet dessen: Muss für Kinder, Jugendliche oder auch junge Erwachsene immer „alles Action-Stress“ sein?

Anmerkung: Auch der Golfsport würde „aussterben“, wäre dieser – zwangsläufig – nur für „alte Leute“ geeignet.

…und meines Wissens ist hierbei ebenfalls „eine mentale Komponente“ von immanenter Bedeutung.

Hinzu kommt, dass gerade heutzutage die westliche Gesellschaft ein gewaltiges Problem zu bewältigen hat, welches noch immer nicht in das Bewusstsein der Bevölkerung vorgedrungen ist: Viele Kinder und Jugendliche – sogar schon im Vorschulalter beginnend – haben enorme Schwierigkeiten mit der körperlichen Koordinationsfähigkeit und gewaltige(!) Fitness-Defizite (Exkurs: Es liegen genügend Studien und Artikel in den entsprechenden Gremien und Sportverbänden vor, welche jederzeit leicht nachvollzogen werden können, womit hier auf dieses Faktum nicht näher eingegangen werden muss).

Der Tai Chi Gung – Landessportverein in Salzburg ist der Auffassung, dass mit „extremen Maßnahmen“ nur „extreme Widerstände“ erzeugt werden, jedoch kein Fortschritt oder Besserung der Situation. Bildhaft gesprochen: Warum sollte ein Vogel gleich fliegen, wenn er nicht einmal weiß, dass er Flügel hat, geschweige denn wie er jene einsetzen sollte?

(Um bei diesem Bild zu bleiben: „Nein, aus dem Nest stoßen ist keine Alternative – weil wir als Menschen eben nicht risikieren dürfen, dass ein bestimmter Prozentsatz jener ‚Vögel‘ einfach auf den Asphalt klatscht!“)

Nur die Einbeziehung einer „sanften“ sportlichen Betätigung kann zum gewünschten Erfolg führen – Dann, wenn ansonsten „unsportliche Typen“ von Menschen (hier: Kinder und Jugendliche) sich gerne und ohne Leistungsdruck bewegen.

Tai Chi „leistet“ diesen Ansatz, z.B. durch: „Anstrengung, ohne jemals außer Atem zu gelangen“!

Genau dies ist ein(!) Argument, Kinder und Jugendliche in die Sportart Tai Chi Gung einzuführen.

Bloße gymnastische Ansätze um Bewegungsdefizite auszugleichen, sind der heutigen Jugend einfach „zu wenig“ und „zu fad“ – erst die vielschichtigen Aspekte der chinesischen Bewegungskunst, erlauben (erreichbare) Zielsetzungen in einem jungen Menschen selbst zu aktivieren: Die eigene Erfahrung, dass „es mehr gibt“, als jener oder jene sich bisher vorstellen konnte und dass dieser selbst „mehr draufhat“, als er oder sie bisher glaubte.

Mit Tai Chi Gung wird „Leistung“ nicht mehr mit: „Wer ist schneller, stärker oder hat hat innerhalb von soundsoviel Zeit soundsoviel Kilogramm abgenommen?“ gleichgesetzt, sondern mit den Werten, wie: „Wer hat mehr Erfahrungen gemacht?“ bzw. „Wieviele Fähigkeiten – an mir – konnte ich bereits entdecken und was möchte ich gerne noch erreichen?“.

Mit Änderung jener „Zielsetzung“ an eine körperliche Betätigung ändert sich „schlagartig“ die Einstellung und Motivation – gerade für jene, welche „von Haus aus“ – gerade von anderen(!) – für „unsportlich“ (weil ja nicht ins gängige „Leistungsschema“ passend) „abgestempelt“ werden.

Die Erfolge messen sich dann am persönlichen Fortschritt (Kenntnisse, Erfahrungen und Fertigkeiten), womit „zwangsläufig“ und nahezu „automatisch“ mit Trainingspensum auch eine körperliche „Verbesserung“ einhergeht. Ohne jene gleich von Anfang an in den Vordergrund zu stellen (oder gar als „Hauptmotivation“ zu proklamieren).

Man könnte ein wenig „böse“ sagen: „Ja, liebe Kinder – Es gibt eine Welt abseits von Fußball. Und das ist kein Märchen, sondern wahr“! – Aber dies betrifft nicht nur Fußball, solange „Schulsport“ in Europa nach wie vor noch als „Kadertraining“ oder sogar noch in der Art von „Volksertüchtigung“ zur Vorbereitung des Verteidigungsfalles militärischer Art abgehalten wird.

Motto: „Wer nicht fitt ist, wird einfach fitt gemacht!“.

Aber: Charles Darwin meinte mit „survival of the fittest“ keineswegs „Überleben des Stärksten“, sondern – korrekte englische Übersetzung: „das Überleben des Angepasstesten“ (von „to fit“ – „anpassen“).

Für den Schulsport und die (verordnete) sportliche Betätigung der Kinder und Jugend ist es „höchst an der Zeit“ sich anzupassen: Millionen(!) Chinesen üben nahezu täglich(!) Tai Chi Chuan – Wie lange wollen wir uns im Westen noch – aus Dummheit, Unkenntnis oder Ignoranz – diesen jahrhunderte(!) alten Übungen „verweigern“?

(Abgesehen davon: „Die Chinesen“ „holen“ sich schon seit Jahrzehnten Techniken, Know-how, Materialien und Informationen aus dem Westen ins Land und „vermarkten“ schlußendlich „Eigenproduktionen“ weltweit – Ist es da nicht längst an der Zeit, dass wir im Westen uns von China auch das „holen“, was diese Kultur zu bieten hat und „brauchbar“ für „uns“ sein könnte?)

Für wen ist also Tai Chi Gung geeignet?

Generell für Menschen jeder Altersstufe.

Fairerweise muss hinzugefügt werden, dass unser Kulturkreis, anders als in Ostasien, mehr zu „Lernen durch Erklären und Verstehen“ als zu vorbehaltslosem „Nachahmen“ (mimetische Lehrmethode der Chinesen) neigt, wodurch auch bei manchen Trainingsformen eine gewisse mentale Reife zum Erkennen der Sinnhaftigkeit der Bewegungsformen nötig ist.

Die hierzu nötige „Weitsicht“, um Zusammenhänge zu erkennen oder auch das Durchhaltevermögen, einen gewissen Weg zu beschreiten, bis erste Erfolge sichtbar werden können, ist natürlicherweise an Lebenserfahrung geknüpft und kann daher nicht unbedingt von einem Kind vorausgesetzt werden. Das Üben der Form wird von Kindern gerne „als fad und für alte Leute“ angesehen. Andererseits können Kinder mit Vorbereitungs- und Einzelübungen begeistert werden und profitieren enorm von dem hierbei ermöglichten Koordinationstraining.

Der Jugend kann veranschaulicht werden, dass wahre Kraft und Stärke in Beherrschung der „inneren Kraft und Energie“ (chinesisch: „chin“), anstelle „äusserer“ roher Kraftanwendung und Gewalt (= chinesisch: „li“, die „schwerfällige Muskel- und Schwungkraft“) liegt. Damit wird gleichzeitig „die Kampfeslust“ der Jugend befriedigt und das Training trägt durch Erfahrung und Reifungsprozesse zur Aggressionsbewältigung bei.

Für „Action“ ist auch gesorgt: Darüber hinaus kann beispielsweise in einem „Training mit dem Langstock“ live gesehen werden, woher z.B. die Akteure von „Star Wars“ („Krieg der Sterne“) ihre „Kampftechniken“ (Anm.: mit dem Laserschwert) tatsächlich „entlehnt“ haben und – gewisses Alter vorausgesetzt – sogar jene Bewegungen selbst erlernen.

Der rein sportliche, körperliche Aspekt ist selbstverständlich auch von einem Kleinkind zu bewältigen.

Mehr zur Sportart „Tai Chi Gung“ und zum gleichnamigen Verein in Salzburg unter: www.tai-chi-gung.at

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