(aus der Serie: Irrtümer über Tai Chi, erstmals erschienen auf mein.salzburg.com am 30. Mär 2010 um 12:29 in Fitness)
Folgt man den Berichten über „äussere“ Kampfkünste, so gelangen viele Menschen zur Überzeugung: „Je härter, brutaler und besessener jemand trainiert, desto größer sind seine Aussichten auf Erfolg.“ – „Selbstüberwindung, Kasteiung, Eigenfolterung und ‚Eiserner Wille‘ führen zum Sieg“, oder ähnliches.
Jemand der Tai Chi ausführt, wird sagen: „Alles völlig falsch – sorry!“.
(Es ist auch noch nie jemand allein dadurch „frommer“ geworden, indem er sich selbst geiselt.)
Der „Wille“ erreicht viel und „Selbstüberwindung“ kann jemanden schon einmal weit über seine eigenen körperlichen Grenzen hinweg „tragen“ – bis es unweigerlich „zum Absturz“ kommt, weil der eigene Körper ständig „geschunden“ wird und „Raubbau“ betrieben wurde – irgendwann ist so jemand dann ein Wrack, „zerrieben“ an dem ständigen inneren Kampf gegen die „eigene Mauer“ (…und der Disharmonie zwischen tatsächlichem „Sein“ und dem „Wollen“).
Der Schlüssel in Tai Chi ist nicht der selbst auferlegte „Zwang“ und die ständige „Kontrolle“ und „Beherrschung“, sondern die eigene Vorstellungskraft, welcher der Körper und die Bewegung nach einiger Zeit (=Kontinuität und Beharrlichkeit) nahezu „mühelos“ – also völlig „Zwang-los“ – folgen; auch oder gerade in Extremsituationen (welche keinesfalls als Dauerzustand „trainiert“ oder „gelebt“ werden sollten).
Dass dies sehr gut funktioniert, beweisen auch die seit jüngerer Zeit bei Spitzensportlern angewandten Formen des (will sagen: „korrekten“) Mentaltrainings (positive Affirmationen, Imagination, …, „Zielsetzung“ statt „Überwinden“, etc.).
Vielfach wird heute vom „inneren Schweinehund“ gesprochen und wie man jenem begegnen sollte.
Zwei Fragen drängen sich hierbei auf:
- Was ist der „innere Schweinehund“ – „Wo“ findet sich jener in einem Menschen?
und - Erscheint tatsächlich ein „Kampf“ mit dem „inneren Schweinehund“ – also ein ständig widerholter Willensakt des Gegensteuerns (Motto: „Selbstüberwindung“) – sinnvoll und zielführend?
Falls im „inneren Schweinehund“ die unterbewußten Programmierungen (die „Muster“) eines Menschen zu verstehen sind, dann würde nur eine „Abänderung“ der ursprünglich geprägten Verhaltensweisen tatsächlich Erfolge zeigen – und ein „Kämpfen“ gegen sich selbst nur zusätzlich Zeit und Energie verschwenden, da die „Ursachen“ ja immer wieder zum Vorschein treten würden, egal wie oft jemand in einer bestimmten Situation „sich überwindet“.
Falls im „inneren Schweinehund“ auch so etwas wie „Sehnsüchte der Seele“ (lt. Ruediger Schache, Autor z.B. von „Der geheime Plan Ihres Lebens“) stehen würden, welche in Konflikt mit dem „Ich“ (also dem „Ego“) stünden, dann mühte man sich endlos vergeblich, bis der Körper schließlich „nachgibt“ (sprich: „krank wird“), um endlich – zumindest für eine Zeit lang – von seinem „willentlichen“ Vorhaben abzusehen.
Wir erkennen: mit soeben angeführtem und den beiden Beispiel-Schlußfolgerungen ist der Themenkomplex sicherlich „nur angekratzt“ worden – keineswegs erschöpfend behandelt.
Und: „der innere Schweinehund“ ist keineswegs eine fundierte Definition, sondern wird eben unterschiedlich aufgefasst und dementsprechend abgehandelt.
Aber: zweifellos erkennbar sollte sein, dass „der Wille“ ein(!) Werkzeug für einen bestimmten Zweck darstellt, aber als „Universalwerkzeug“ sicherlich falsch eingesetzt würde, da es weit effektivere Ansatzpunkte in/auf anderen Ebenen gibt.
Anders formuliert:
Wenn ich keine (inneren) „Mauern“ aufbaue, so brauche ich jene erst gar nicht zu „überwinden“.
Wenn ich keinen „Widerstand“ biete (oder bilde), dann braucht dieser erst gar nicht „verstärkt“ zu werden („Härte“) – eine (angreifende) Kraft „geht ins Leere“.
Anmerkung:
die „äußeren Kampfkünste“ beantworten in einem Angriff „Gleiches mit Gleichem“ – es obsiegt jener, welcher Härter, Stärker, Schneller etc. ist. Dies funktioniert aber nur unter der Prämisse, dass der Gegner (jeder!) ebenso handelt!
In der „inneren“ Kampfkunst wird jedoch z.B. „Hartes“ mit „Weichem“ – „Kraft“ mit „Kraftlosigkeit“ oder sogar auch der „Impuls“ mit einer „Verstärkung“(!) anstelle eines „Widerstandes“ bekämpft. Womit „Kämpfe“ plötzlich völlig anderen „Regeln“ unterliegen und keineswegs mehr körperliche Stärke, Härte, Schnelligkeit, etc. ausschlaggebend sind, um zu gewinnen – Möglicherweise liegt manchmal sogar der „tatsächliche“ Gewinn darin, dass überhaupt nicht gekämpft wird (werden muss)!
Mehr zum Thema Tai Chi Gung auch auf der Webseite des Vereins: www.tai-chi-gung.at