Die Bedeutung der Meisterschaft chinesischer Kampfkünste

Glossareintrag: Meisterschaft

Wer ist Meister? – bzw. Wie wird jemand Meister in Tai Chi?

Um den Begriff der „Meisterschaft“ sowie „Meister“ in ursprünglicher chinesischer Sicht zu verstehen, muss zuvor ein wenig ausgeholt werden.

Im alten China wurden klassisch fünf Künste als erstrebenswert benannt:

  • die Medizin – also TCM, die Traditionelle Chinesische Medizin, mit Akupunktur und Moxibustion, Tuina, Heilkräuter und Mineralstoffe, Ernährung, sowie der Kunst der Lebensverlängerung, genannt „Yangsheng“, mit bestimmten Bewegungen, Atemtechniken und Konzentrationsübungen – d.h.: Das Praktizieren von „Chi Kung“ (anders geschrieben: „Chi Gung“, „Ch´i kung“ – modernes Derivat aus den 1950-igern: „Qi Gong“);
  • die Kalligraphie (die „Schriftmalerei“);
  • die Poesie,
  • die Malerei und
  • das Praktikum der Kampfkunst („wu shu“), also Tai Chi Chuan.

Die Kinder höhergestellter Persönlichkeiten wurden in diesen Künsten unterrichtet (Anmerkung: Wie selbstverständlich waren dabei natürlich auch in China Frauen und weibliche Nachkommen meist ganz oder teilweise ausgenommen, da diesen immer eine den Männern untergeordnete Rolle zugedacht wurde).

Alle diese Künste galt es selbstverständlich in/mit „→Kung Fu“ auszuüben (siehe dort).
D.h.: Es wurde selbstverständlich also auch davon ausgegangen, dass die weitere Beschäftigung mit diesen Themen und die ständige persönliche Weiterentwicklung in jenen Künsten, EIN LEBEN LANG fortgesetzt wird und NIE ENDET!

Exkurs:
Soviel zu „Ein Leben lang lernen“! – Lehren wir unsere Kinder (der westlichen Kultur) doch das Verständnis von „Kung fu“, denn nichts anderes ist damit gemeint.

Womit wir bei ersten Problematiken – aus westlicher Sicht – angekommen wären:

Wie beschreibt oder definiert sich dann ein „Meister“ (in einer der o.a. fünf Künste), wenn es „keine Ende“ des Lernens und Studierens gibt?

Worin liegt der Unterschied zwischen einem „Lehrling“, also dem Schüler und einem Meister, wenn eine „Lehre nie endet“?

Welche „Grenze“ der Erfahrung/Erkenntnis bildet einen Übergang, bzw. wann ist diese erreicht?

Beziehungsweise auch:
Kann ein Meister tatsächlich weiterhin Meister genannt werden, wenn er seine eigene Weiterentwicklung eingestellt hat und beispielsweise nur mehr ihm bisher bekannten folgt?

In China wurde dies ganz einfach pragmatisch gelöst Es gilt (bis heute noch!) der Spruch:

„Wenn Du Meister werden willst, dann suche Dir Schüler“

Fazit: Jeder(!!!), der Schüler hatte, war bzw. ist automatisch(!) Meister!

Die Qualität dessen Lehrtätigkeit und/oder Kenntnis bzw. die tatsächliche Fähigkeit in „seiner Kunst“, „seinem Handwerk“ war dabei niemals ausschlaggebend.

Im China der vergangenen Tage wurde „die Qualität“ eines Meisters in den Kampfkünsten, oder „seiner Schule“, einfach dadurch festgestellt, dass „im Zweifel“ einfach gekämpft wurde – Der Sieger war der bessere Meister. So einfach war das.

Anmerkung:
Und da jene Kämpfe meist tödlichen Ausgang hatten, brauchte sich der Verlierer auch keine Gedanken mehr um seine Zukunft oder weitere Lehrtätigkeit zu machen.

Daher gab es auch in der chinesischen Kampf- und Bewegungskunst Tai Chi Chuan (anders: Taiji Quan – beides gesprochen: „tai-tschi-tschu_an“) bis dato weder „Grade“, „Einteilungen“ (noch festgelegte „Definitionen“) – zumindest keine im Westen bekannte bzw. veröffentlichte.

Selbiges galt ebenso für andere fernöstliche Kampfkünste, z.B. auch für Japanische, egal ob Judo, Ninjitsu oder Karate.

Auch dort wurden Grade erst mit Übernahme in „die westliche Welt“ – vor allem bei der Anerkennung und Ausübung als Sportart – geschaffen und etabliert. Begonnen in den 1950-iger bzw. 1960-iger Jahren in Judo, rund ein Jahrzehnt danach folgte Karate.

Ein „Gürtel“ in den auch im Westen praktizierten Kampfsportarten wird also mittlerweile als „Qualitätsstandard“ und „Fortschrittsgrad“ anerkannt.

Der „schwarze Gurt“, steht dabei also für „Meisterschaft“ und dient als relativ objektiver allgemein gültiger Maßstab vergleichender Bewertung (… ohne dabei gleich jedesmal „auf die Blutwiese“ gehen zu müssen).

Selbstverständlich ist ähnliches auch in Tai Chi möglich!

Heutzutage wird gerne die Philosophie des „Taoismus“ („Daoismus“) als Begründung für fehlende objektive Maßstäbe herangezogen – in etwa: „Jeder geht seinen eigenen Weg und kann sich daher nicht mit anderen messen„.

Was im Grunde für eine spirituelle Entwicklung zweifellos stimmen mag, aber für das praktische Training und für tatsächliche Vergleiche der „Lehrtätigkeit“ meist als Vorwand genutzt wird – Als Immunisierungsstrategie, um tatsächlicher Vergleichsmöglichkeit von vornherein aus dem Wege zu gehen.

In den bekannten chinesischen Familienstilen fehlen – auch daher – „objektive“ Kriterien.

Darüber hinaus bestimmt jeder „Meister“ jener Tai Chi-Stile, ob der eigenen Schule gefolgt und der jeweilige →Stil eingehalten wird, oder eben nicht.
Danach – und oft auch der Familientradition folgend: Ist oder wird er ein Familienmitglied? – richtet sich, ob ein neuer „Meister“ anerkannt, ernannt oder aufgenommen wird.

Exkurs:
Ein typisches, bekanntes, Beispiel liefert hierzu auch die Lebensgeschichte von →Cheng Man-Ching (1900-1975), welcher in der Yang-Familie nicht als Meisterschüler anerkannt wurde.

Von der Stellung und Behandlung von Frauen, wollen wir dabei lieber erst gar nicht sprechen!

Auch die beabsichtigt als international agierenden „Tai Chi – Assoziations“ der einzelnen Familien(-Stile) dienen mehr der Verbreitung der eigenen Stil-Richtung sowie privater Interessen und weniger der allgemeinen Förderung der Inneren Kampfkunst des Tai Chi Chuan.

Eine „westliche Sportart“ kann daraus nicht entstehen!

Anders nun mit Tai Chi Gung:

Der „Maßstab“ ist für alle gleich und für jeden nachvollziehbar – ohne patriarchalische Animositäten, Familienzugehörigkeit oder persönliche Präferenzen.

Selbstverständlich gilt: Die individuelle „innere Entwicklung“ kann dabei weder „gemessen“ noch verglichen werden – Aber: Die Qualtität der Ausführung und der Trainingsfortgang im laufenden Training („des Sports“ – „der Bewegungskunst“), sowie der Gruppenmitglieder können bestimmt, festgelegt und verglichen werden.

Nehmen wir als Beispiel eine „äußere“ Kampfkunst: Der „Träger eines schwarzen Gürtels“ muss auch nicht gleich ein besserer Mensch sein – er stellte einfach die Beherrschung und das Können bestimmter festgelegter Kriterien unter Beweis.

Wobei, beim Praktikum von Tai Chi Chuan ist vielleicht Folgendes ein Vorteil: Ein „Schlägertyp“ wird nicht – unter Umständen sogar: jahrelang – „Sanftheit“, „Nachgeben“, „Ruhe in der Bewegung“ usw. usf. trainieren, ohne von der Kunst „abzufärben“ oder vielleicht daher auch vorzeitig „aufgeben“ und sich anderwertig austoben wollen – Diese „Entwicklung“ liegt dankenswerterweise in der Natur der Sache.

In Tai Chi Gung erfolgt der Aufstieg zu Meistergraden durch regelmäßiges Training und relativ objektiven Leistungskriterien, welchen sich jeder stellen kann und von jedem leicht nachvollziehbar gestaltet sind.

Zusammenfassend betrachtet

Es existieren grob drei Definitionen und Sichtweisen eines Meisters der „inneren“ Kampfkünste (Tai Chi Chuan – Taiji Quan):

  1. Die alte (ursprüngliche) chinesische Sicht:
    Jeder, der Schüler hat und unterrichtet, darf sich als Meister bezeichnen.
  2. Anerkennung und Aufnahme als Meister gemäß der jeweiligen Familientradition und Vorschriften des jeweiligen Clans (Vertreter des Familien-Stiles).
    Anmerkung: Äußerst schwierig als „Nicht-Familienangehöriger“ und „Nicht-Chinese“ – Oft nahezu unmöglich als Frau.
  3. Seit Existenz des Tai Chi Gung – Landessportverein, Salzburg und mit Etablierung von Tai Chi Gung – Als „westlicher Weg des Tai Chi Chuan“:

    Erlangung der Meisterschaft durch regelmäßiges, kontinuierliches Training und aufeinanderfolgend abzulegenden Prüfungen nach vorhandenen festgelegten objektiven Leistungskriterien (Regelwerk, Definitionen, sowie „Qualitätsmaßstäbe“ in bestimmten Paramentern zum stilunabhängigen Leistungsvergleich) – unabhängig von Alter, Herkunft, Hautfarbe oder Familienzugehörigkeit, egal ob Mann oder Frau.

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