Ask a Sifu: Ist mit Tai Chi und Taiji das Gleiche gemeint?

Kurze Antwort:

  1. Für die damit bezeichnete chinesische Bewegungskunst sowie einen Laien (meist): „Ja“ –
  2. Für die tatsächlich Bedeutung der Wörter eigentlich: „Nein“!

Ich weiss, dies klingt jetzt genau wie eine weitere Parodie des ehem. sowjetischen Rundfunks – „Radio Eriwan“ antwortet: „Im Prinzip ja, aber…“. Leider verhält es sich hierbei aber genau so.

Zuerst also die einfache Antwort:

Falls sich der Begriff „Tai Chi“ oder „Taiji“ in einer im Westen (ich meine damit in Europa, Amerika,… die westliche Kultur) veröffentlichter Dokumentation oder Beschreibung der „inneren Kampfkunst“, bzw. der Körper- und Bewegungskunst, aus China findet, welche vor Jahrzehnten auch noch „→Schattenboxen“ genannt wurde, dann ist damit die geläufige Kurz-Bezeichnung jenes Bewegungsystems gemeint.

Die vollständige Schreibweise (Bezeichnung) dafür wäre entsprechend: „Tai Chi Chuan“ bzw. „Taiji Quan“. Selbst im heutigen China wird im alltäglichen Sprachgebrauch schon die Kurzform: „Tai Chi“ / „Taiji“ hierfür verwendet.

Damit wäre mit „Tai Chi“, „Taiji“, „T’ai C’hi“, „T’ai Chi“ oder „Tai Qi“ – sowie mit sämtliche Schreibweisen, die man sich nur vorstellen kann – immer das Gleiche gemeint: Die chinesische Bezeichnung jener Bewegungskunst.

Die Gegenfrage bzw. Rückfrage liegt auf der Hand:
„Warum wird dies dann nicht einfach ‚Schattenboxen‘ (oder im englischen: ’shadow-boxing‘) genannt?“

Weil diese Bewegungskunst eben KEIN Boxen darstellt und KEIN Boxsport ist!

Die Bezeichnung „Schattenboxen“ ist irreführend, weil wir Menschen im Westen unter „Boxen“ eben etwas anderes verstehen und mit dieser Bezeichnung anderes verbinden (assoziieren).
Und da es bei uns in der westlichen Kultur nichts Vergleichbares gab oder gibt, existiert auch kein Name oder Bezeichnung hierfür.

So besann man sich in den letzten Jahrzehnten und verwendet nun hierfür den in China ursprünglichen Namen und Begriff, gesprochen: „tai-tschi“ – phonetisch übertragen in lateinische Buchstaben, eben: „Tai Chi“ („Taiji“, „T’ai C’hi“, … „Tai Gi“ usw. usf.).

Exkurs:
Ein schönes Beispiel für eine andere „Kunst“ – meist auch „Bewegungskunst“ (aber eben nicht nur) – welche auch aus einem anderen Kulturkreis stammt und eben „so bei uns nicht vorkommt“, wäre „Yoga“.
Es gibt hier ebenfalls keinen deutschen oder englischen, französischen, …, sprich: Abendländischen Begriff, welcher dieses System richtig beschreiben würde: „Meditations-Strecken“?, „Körperbiegen“?, „Körperrituale“?,…
Motto: „Heute gehe ich wieder in meinen Körperritual-Kurs“ (?)
… alle Bezeichnungen wären unzureichend und irreführend.
Um Mißverständnisse zu vermeiden und gleichzeitig den (wichtigen!) Bezug zum Ursprung herzustellen, nennt man dies eben so, wie es eben auch in Indien genannt wird.

Dieser Exkurs zeigt als Beispiel, dass „Yoga“ ohne die ursprünglichen indischen Anleitungen und damit verbundenen Philosophien, also ohne den „indischen Hintergrund“, eben nicht „Yoga“ wäre, sondern irgend etwas anderes: Gymnastik, Pilates, Airobic, …, Atemübungen, etc.

Genauso verhält es sich mit „Tai Chi“:
Ohne die grundlegende dahinterstehende Systematik aus China (den „Hintergrund“) wäre es eben alles andere, aber eben nicht „Tai Chi“ („Tai Chi Chuan“)!

Tiefergehende Antwort:

Die Problematik dabei ist, dass mit dem Ausdruck „Taiji“ aber eine andere Bedeutung hergeleitet werden kann!

Damit wäre dann mit „Tai Chi“ eben NICHT das Gleiche gemeint, wie mit „Taiji“.

Verwirrt? – Verständlich!

Ein Grund liegt darin, dass die Chinesen nicht die gleiche Schrift verwenden, wie wir im Westen. Wir verwenden lateinische Buchstaben, die Chinesen Schriftsymbole (Schriftzeichen).
Erschwerend kommt hinzu, dass jene chinesischen Schriftzeichen meist nicht nur Laute oder Silben darstellen, sondern gleichzeitig Begriffe und Bedeutungen symbolisieren.

Dies bedeutet:
Einerseits ist eine Übersetzung daher nicht einfach gleichzusetzen mit einem 1:1 Austausch der Worte oder Sätze von Chinesisch nach Deutsch (oder Englisch, Französisch, etc. – wie beispielsweise: englisch „Appel“ = zu deutsch „Apfel“).
Eine Übersetzung von Chinesisch in Deutsch bleibt daher immer(!) eine Interpretation!

Anm.:
Was bei materiellen Gegenständen und materiellen Belangen (z.B.: Tisch, Sessel, Tür) sicher weniger Interpretationsmöglichkeiten erlaubt oder erfordert, als bei immateriellen (z.B.: Gefühle, Philosophie, Geistiges) welche in Allegorien, Metaphern und Symbolen vorkommen – Meinen wir dabei wirklich das Gleiche, oder…?

Andererseits werden auch bei uns in der westlichen Kultur verschiedene lateinische Buchstaben oder Buchstabenkombinationen für Laute, also unterschiedliche „Aussprachen“ verwendet.
Das heisst beispielsweise: Engländer, Franzosen, Spanier, Deutsche, …, Amerikaner, usw., sprechen manche Buchstaben anders aus.
Umgekehrt bedeutet dies auch: Gleiche Laute (Silben), werden je nach Sprache (Sprachfamilie) eben auch mit anderen(!) lateinischen Buchstaben geschrieben. Je nachdem, wer den Text verfasst hat.

Das ist der zweite Grund für die Problematik.

Hat also jemand einen Chinesischen Begriff – sozusagen: „lautwörtlich“ – in lateinischen Buchstaben niedergeschrieben, so verwendete er (automatisch) die Lautdarstellung seiner Sprache. Was dem Engländer oder Amerikaner sein „Chi“, wäre dem Deutschen eigentlich sein „Tschi“ oder „dschi“.
Somit stellen alle bei uns erhältlichen und in lateinischen Buchstaben geschriebenen chinesischen Begriffe eine „Lautschrift“ dar.

Anm.:
Es wurden also nicht eigene Lautschriftzeichen „erfunden“, wie wir diese aus Fremdwörterbüchern (zB.: Deutsch-Englisch / Englisch-Deutsch) aus unserer Schulzeit kennen. Beispiel zur Erinnerung: Das englische „Th“ – einmal so gesprochen, einmal anders – zusätzlich dargestellt im Wörterbuch mit anderem Lautschriftzeichen.

Natürlich wurde versucht ein einheitliches System der „Übertragung“ zu schaffen.

Aber auch wenn heute das sogenannte →Pinyin-System (1958 von der chinesischen Regierung veröffentlicht) seit 1982 als offizieller Standard gelten soll, so ist es unvermeidlich, dass einerseits viele Dokumente (Bücher, Schriften, Blätter) oft schon lange vor dieser Zeit in allen möglichen Ländern und Sprachen geschrieben wurden und andererseits niemand gezwungen werden kann, sich daran zu halten.

[…mehr dazu auch im Glossareintrag unter:Übertragungsprobleme ]

Womit als drittes Problem auch die geschichtliche Entwicklung genannt werden muss.

Selbst wenn „Taiji“ laut Pinyin-Übertragung und den dafür heute gebräuchlichen Schriftsymbolen aus den chinesischen Wörtern „→Tai“ und „→ji“ anders geschrieben wird, als „Tai“ und „→Chi“ (lt. englischsprachigen →Wade Giles-System eigentlich „T’ai C’hi“), dann liegt es nicht daran, dass damit eine andere Bewegungskunst oder ursprünglich ein anderer Hintergrund gemeint wäre, sondern daran, dass – höchstwahrscheinlich – aus politischen Überlegungen und Propaganda, die Bewegungskunst „Tai Chi“ nur mehr als gesundheitlich wertvolle Gymnastik betrieben und verstanden werden sollte und daher der Bezug zu „Chi“ – übersetzt soviel wie: „Lebenskraft“, „Lebensenergie“ – „gelöscht“ wurde.

Anmerkung:
Schon vor der sogenannten Kulturrevolution (1966 – 1976) kannte man im kommunistischen China eine Ära massivster Propaganda (1958-1962), welche viele alte geistige und kulturelle Überlieferungen und Ansichten hinwegfegen sollte.

Ironie der Geschichte – Absicht oder Schicksal, wer weiss – der Begriff des „Chi“ fand jedoch seinen Einzug auch in das Pinyin-System und wird hierbei „Qi“ (gesprochen: „tschi“ oder „ki“) und seine weite Verbreitung über „Qi Gong“
(Anm.: Welches aber – ebenfalls seit den 1950er Jahren – von „Tai Chi“ unterscheidbaren Systematiken und Hintergründen folgt).

Damit haben wir die Überleitung zum damit verbundenen vierten Problem.

Ursprünglich war also mit „Chi“ und „Qi“ – grob übersetzt als „Lebenskraft“ – das gleiche gemeint und es wurde das gleiche chinesische Schriftzeichen verwendet.

Gleichzeitig stellen die beiden Wörter (und Schriftsymbole) „Tai“ und „Chi“ gemeinsam verwendet, den ursprünglichen kosmologischen Begriff und das Symbol „→TAI CHI“ („yin-yang-Symbol“ – siehe dort) dar. Jener ist für die gleichnamige Bewegungskunst ebenfalls von elementarer Bedeutung.

Mit Einführung des Pinyin (oder später) wurde schließlich bei der Bewegungskunst „Tai Chi Chuan“ – nach Pinyin-Umschreibung nicht einfach nur „Tai Qi Quan“ daraus, sondern auch das Schriftzeichen für „Chi“ – nach Pinyin: „Qi“ – ersetzt durch ein anderes Schriftzeichen, stellvertretend für „ji“.

Deshalb heisst die Kurzbezeichnung „Tai Chi“ jetzt „offiziell“ nach Pinyin-Übertragung auch nicht „Tai Qi“ sondern eben „Taiji“.

Damit änderte man gleichzeitig die Bedeutung und Aussage: „ji“ ist etwas völlig anderes als „chi“ bzw. „qi“ ! (siehe dazu auch im Glossar: →ji und →chi)

Bei der Anwendung und Ausübung von „Tai Chi Chuan“ geht es aber um „→Tai„, „→Chi“ und „→Chuan“ – sowie gleichzeitig(!) und elementar(!) um „→TAI CHI“ – daher also eben nicht (nur) um „Tai“ – „Ji“.

Da sich heutzutage auch Anwendung, Interpretation und Grundlagen der Betätigungsfelder „Qi Gong“ sowie „Tai Chi“ (also „die Systeme“) in vielen wesentlichen(!) Punkten unterscheiden, erscheint es dem Tai Chi Gung – Landessportverein (Salzburg) sinnvoller – neben den ursprünglichen Schriftsymbolen, vor allem für „Chi“ – auch die lateinischen Schreibweisen zu unterscheiden, um den Bezug zu den Hintergründen wieder herzustellen.

Darüber hinaus ist es für deutschen (und englischen) Sprachgebrauch leichter, die geschriebenen Silbe „ch“ für gesprochen „tsch“ (oder „dsch“ oder „k“) zu erkennen, anstelle hierfür „q“ (oder „Q“) zu verwenden.

Daher besser: „Tai Chi Chuan“ oder kurz „Tai Chi“ (obwohl es nach Pinyin eigentlich „Tai Qi Quan“ – für gesprochen „tai-tschi-tschu_an“ – geschrieben sein „müsste“).

Fazit:

  1. „Taiji“ (sowie dazugehörige aktuelle chinesische Schriftzeichen) „bricht“ den wesentlichen Bezug zum Hintergrund und hat daher nicht die gleiche Bedeutung und nicht den gleichen „Inhalt“, wie das ursprüngliche (überlieferte) „Tai Chi“ (einschließlich ursprünglicher chinesischer Schriftzeichen).
  2. Vordergründig als reine Namensbezeichnung für die Ausübung jener chinesischen Bewegungskunst mag dies keinerlei Bedeutung haben, hintergründig zum Verständnis und im Praktikum erweist es sich jedoch elementar.
  3. Tipp für „Forscher“ und Interessierte, welche weder chinesische Schriftzeichen und chinesische Originaltexte lesen können oder wollen:
    Rechne bei Deinen Recherchen damit, dass Du „Tai Chi“ in allen möglichen und unmöglichen Varianten und Schreibweisen finden und lesen wirst.
    Passe Deine Suche entsprechend an: „Taichi“, „Tai ji“, „Tai Chi“, „T’ai C’hi“, …,“Tai Gi“.
    Und wie überall anderswo auch: Stelle immer einen Bezug zum Autor, Land (Sprache) und dessen Intention her – Sprich: Auch viel Lesen schützt nicht vor selber Nachdenken!
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4 Antworten zu Ask a Sifu: Ist mit Tai Chi und Taiji das Gleiche gemeint?

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